100 Jahre – Die ganze Welt ist ein Dorf
14. August 2021Artikel Westallgäuer: Der Hut im hölzernen Gras
31. Juli 2023100 Jahre – Die ganze Welt ist ein Dorf
14. August 2021Artikel Westallgäuer: Der Hut im hölzernen Gras
31. Juli 2023Austellung Martin Kargruber – Ingaling
22. Juli – 27. August 2023
Sa + So 14.30 – 17.00
KornhausMuseum
Sehr geehrte Kunstfreundinnen und Kunstfreunde!
Ich möchte Ihnen heute den Holzbildhauer Martin Kargruber, gebürtiger Südtiroler, vorstellen:
Nach einer Ausbildung als Holzbildhauer Studiert er an der Akademie der bildenden Künste München Bildhauerei bei Hans Ladner und experimentiert dabei mit unterschiedlichen Materialien, am Ende des Studiums steht die Hinwendung zur Holzskulptur. Seit 1987 nimmt er an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Galerien und Museen im In- und Ausland teil, erhält Preise und Stipendien. Seine Werke sind im öffentlichen Raum und in öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten. Seit 2009 übt er eine Lehrtätigkeit an der Städtischen Berufsfach- und Meisterschule für das Holzbildhauerhandwerk, in München aus.
Was sehen wir?
Wir sehen eine weibliche Figur, sie ist nackt, und doch nicht nackt, eine menschliche Figur, ihr Körper vollkommen eingesponnen oder bewachsen. Nein, ich meine nicht diese hier, die neben mir steht, verschiedene Legenden verdichten sich zu dieser, mal sakral, mal erotisch betonten Darstellung der überwachsenen Frau. Als klassisches Vorbild oder Beispiel sei hier lediglich die Darstellung der Maria Magdalena, eine Holzskulptur, ein Meisterwerk des Bildhauers Tilman Riemenschneider genannt, das in München im Nationalmuseum zu bewundern ist, manche von Ihnen werden es kennen: Ursprünglich gefertigt als Teil des Münnerst.dter Altars, sehen wir eine Frau im lockigen Haar, das sich in Wellen über ihren ganzen Körper ergießt.
Auftragsarbeiten zur Selbstdarstellung und Verherrlichung, sakrale Themen, wie die eben erwähnte Maria Magdalena von Riemenschneider, wurden erst im Realismus und von den Vorläufern der Moderne abgelöst, indem sie Alltagssituationen zum Thema in der Kunst bestimmten: Wir denken an – „Das Innere einer Scheune“, oder dem Bild eines Eisenwalzwerkes von Adolph von Menzel, den so genannten Bauernmaler Jean-François Millet oder an „Die Steineklopfer“ von Gustave Courbet, die Büglerinnen von Edgar Degas.
Wir machen einen großen Zeit-Sprung in die Pop Art, die nach dem romantisierenden Realismus des Dritten Reiches, und der Gegenbewegung der Abstraktion, wieder Alltagsthemen aufgreift. Hier finden wir die Transformation des alltäglichen Gegenstandes durch Akkumulation, z. B. bei den Suppendosen und Waschmittelpaketen von Andy Warhol, oder durch Monumentalisierung bei Claes Oldenburgs riesenhafter Spitzhacke am Fuldaufer der Documenta in Kassel. Einerseits greift Pop-Art triviale Motive auf, feiert den wirtschaftlichen Aufschwung, die Stars und die Medien. Andererseits zeigt sie die Schattenseiten der Massenproduktion, des Massenkonsums und der Massengesellschaft.
Die Aneignung der Wirklichkeit durch den Künstler und ihre darauffolgende Transformation in ein Kunstwerk sowie ihre politische Konnotation sind charakteristisch für den Realismus. Er propagiert Alltäglichkeit und Sachlichkeit, im Gegensatz zum Naturalismus, der nur die sichtbare Wirklichkeit abbilden will. Wenn wir die Objekte dieser Ausstellung betrachten, sehen wir vermeintlich Bekanntes als Teil der Wirklichkeit. Was wir beim Anblick fühlen, weist jedoch darüber hinaus:
Martin Kargruber taucht ein in die Erinnerung, seine Herkunft. Er erzählt eine Geschichte von Einsamkeit und Sehnsucht in der Abgeschiedenheit der Südtiroler Berge, aber auch eine Geschichte von unserem Bezug zur Natur, und von Entfremdung. Was er darstellt, sind Stimmungen, Momente der Ruhe in einer technisierten bäuerlichen Umgebung, er sucht einen Weg, sucht, den Widerspruch zwischen dem angenehmen Material Holz und der Realität aufzulösen, indem er das Holz zeitgemäß, auf bildhafte Weise bearbeitet. Seine Objekte sind stets eingebunden in ihr Umfeld, der Bezug zur Landschaft, zur Umgebung, ist ein wichtiger Aspekt in Martin Kargrubers Arbeit. Ein anderer ist das organische Material Holz, Motiv und Herausforderung zugleich. Die Werke sind stets durch das Material bestimmt: Die Größe durch die Dimensionen des Holzstückes, den Durchmesser der Stämme, die Zeichnung des Holzes, die Jahresringe, die durch die Schnitte sichtbar werden, die Holzstrukturen, die ihm als Orientierungshilfe im Arbeitsprozess dienen.
Eine Idee nimmt zunächst als Zeichnung auf Papier Gestalt an. Diese Zeichnungen sind nicht als Entwurf zu verstehen, auch wenn es manchmal einen direkten Bezug gibt, sondern als eigenständige Werke, sie dienen Martin Kargruber dazu, in eine bestimmte Stimmung einzutauchen. Feine Linien geben Strukturen und Perspektive vor, Plastizität entsteht durch Überschneidungen und in extremen Verdichtungen des Striches erkennen wir eine Figur oder entsteht vor unseren Augen der Misthaufen.
Die dreidimensionale Umsetzung der Idee erfolgt nach Auswahl eines Holzstückes, oft ein rohes Bruchstück, oder nicht zugerichtetes Halb- Vierteloder Vollstammstück, auf das er das Motiv mit Bleistift zeichnet, Arbeitsspuren, die erhalten bleiben, und in der Beschreibung als Material mit aufgeführt werden. Kargruber arbeitet sein Motiv stets aus einem Stück Holz aus, nichts ist zusammengesetzt. Er lotet aus, was machbar ist mit dem Material Holz: Beispielsweise ein Feld von einzeln herausgearbeiteten Getreideähren. Die Oberflächen sind bearbeitet, auch Details sind erkennbar, aber nicht feingeschliffen.
Naturfarbe und Maserung bleiben als Charakteristika des Materials Holz erkennbar und ergeben zusammen mit der individuellen Interpretation der Proportionen einen Abstraktionsgrad, der die Realität in ein poetisches dreidimensionales Bild transformiert, das uns vertraut und zugleich geheimnisvoll fremd erscheint.
Ingalling – bald einmal oder irgendwann, ein Ausdruck der Südtiroler Mundart, mit dem sowohl Vergangenes, als auch in die Zukunft gerichtetes angesprochen werden kann.
Ich wünsche Ihnen ein bewegendes Erlebnis beim Eintauchen in die Ausstellung von Martin Kargruber.
Marijanca Ambos